Soziale Beziehungen in modernen Betrieben

Die sozialen Beziehungen umfassen die Gesamtheit aller psychischen, sozialen und informellen Faktoren, die das Beziehungsgefüge aller Mitarbeiter des Unternehmens bestimmen und beeinflussen. Sie beschreiben einen großen Teil des sogenannten Betriebsklimas, ein Oberbegriff für Motivation, Kommunikation, Akzeptanz, Zielgestaltung und Offenheit.

Aus der Analyse der Grundlagen der japanischen Produktionsverfahren, die Auslöser für die neuen Produktionsphilosophien waren, kommt die Erkenntnis, dass der informelle Austausch von Ideen und Ansichten die Kreativität und das zielorientierte Handeln verstärkt. Die Gestaltung dieser Ebene muss also dieser nicht hoch genug einzuschätzenden Tatsache entsprechen.

Voraussetzung für die geforderte Autonomie der Teams sind klare Strukturen und Kompetenzen, die es ermöglichen, die definierten Aufgaben ohne hierarchische Barrieren durchzuführen. Sonst ist eine autonome Aufgabenerfüllung nicht möglich, wodurch zwischen Anspruch und Wirklichkeit ein demotivierender Widerspruch entsteht.

Die Organisationsform hat deswegen eine entscheidende Bedeutung für den Erfolg der Produktionsphilosophie.

Die Mängel in den sozialen Beziehungen in der herkömmlichen Gruppenarbeit sind ein Grund für den häufigen Misserfolg dieser Struktur. Diese Mängel sind in der modernen Fabrik und der Lean Production auf unterschiedliche Weise vermieden. Da in der klassischen Gruppenarbeit nur wenige Merkmale dieser Ebene ausgeprägt sind, wird auf eine gesonderte Diskussion meist verzichtet, nur bei relevanten Kennzeichen wird sie erwähnt.

Die Lean Production kennt klare Hierarchien, die aber durch das konfuzianische Weltbild gegenseitiger Verpflichtung und Achtung nicht die Wirkung haben, die wir in Europa gewohnt sind.

Der Vorgesetzte als „Senior“ verstärkt die Entscheidungsbildung seiner Mitarbeiter und macht seinen Einfluss geltend, einen Konsens zu finden. Bei der Übertragung der Lean Production in die atlantische Hemisphäre treten hier einige Konflikte auf, die durch verstandesgeprägte Akzeptanz der Grundsätze vermieden oder zumindest gemildert werden müssen. Das Team muss entscheiden und der Vorgesetzte muss diese Entscheidung unterstützen oder herausarbeiten, warum er diese Entscheidung nicht trägt, eventuell in einem iterativen Prozess die Entscheidung abändern lassen.

In der modernen Fabrik werden die Teams durch Ziele geführt. Sie können autonom die erforderlichen Maßnahmen bestimmen und ergreifen, die dazu führen sollen, diese Ziele zu erreichen. Die Aufgabe des Vorgesetzten ist, mit dem Team und Nachbarteams diese Ziele zu definieren und die Zielverfolgung und deren Dokumentation zu veranlassen.

Er unterstützt das Team bei seiner Aufgaben-erfüllung durch Motivation und Anerkennung mit dem Ziel, durch das Gefühl der Selbstverwirklichung bei allen Mitarbeitern deren Leistungsbereitschaft und Kreativität zu erhöhen.

Dazu gehört, dass die Mitarbeiter bereit sind, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen und entsprechend Entscheidungen zu treffen, deren Konsequenzen sie zu tragen haben. Interessant ist, welcher Art diese Konsequenzen sind. Während die Lean Production auf Beteiligung am Gesamtergebnis und Anerkennung aus der Gruppe bzw. der Gesamtheit der Betriebsangehörigen setzt, steht in der modernen Fabrik das Streben nach Erfüllung einer übernommenen Aufgabe und der direkte monetäre Beitrag im Vordergrund.

Je nach Mentalität kann dabei das Ziel des gesamten Teams oder das Ziel eines einzelnen als Beurteilungsmaßstab im Vordergrund stehen, wobei diese Ziele sich aber immer von den Gesamtzielen herleiten und auch hierfür der Einzelne verantwortlich gemacht werden muss, um isolierte Optimierungen zu vermeiden.

Als Folge der Verantwortungszuordnung und des schnellen Wandels des Umfeldes ist eine ständige Verbesserung der Qualifikation aller Mitarbeiter erforderlich, soll das Unternehmen als Ganzes nicht hinter die Entwicklung zurückfallen.

Eine adäquate Aus-und Weiterbildungsphilosophie gehört damit zu den grundlegenden Forderungen an ein modernes Unternehmen,

dessen Merkmale ebenfalls zu dieser Ebene gehören.

Die Methoden der Lean Production leiten sich aus den besonderen japanischen Bedingungen ab. Ein High School Abschluss ist die Regel, die fachspezifische Ausbildung wird vernachlässigt. Die Wirkung der langen Schulzeit wird gemildert durch zwei Faktoren, erstens die komplizierte Mischung aus Symbolschrift und Silbenschrift, deren Erwerb langwierig ist, und zweitens die auf Wissensvermittlung ausgerichtete Lehrmethode, in deren Folge die Wissbegier nicht gefördert wird.

Der neue Mitarbeiter wird zuerst in Form von Job Rotation mit allen Aspekten des Betriebsablaufs vertraut gemacht. Gleichzeitig wird ihm die Botschaft vermittelt, dass nur durch die Kooperation aller Beteiligten ein zufriedenstellendes Ergebnis erzielt wird. Erst danach wird er gezielt auf die Aufgabe, die ihm zugedacht ist, ausgebildet. Dieses zieht sich durch das ganze Berufsleben, das sich häufig in einem einzigen Unternehmen abspielt. Der Mitarbeiter erhält zwar regelmäßig neue Aufgaben, für die er ausgebildet wird und damit auf dem neusten Stand der Technik ist, eine umfassende Ausbildung erfolgt aber nicht.

Im Gegensatz dazu steht in Mitteleuropa die berufsspezifische Gesamtausbildung im Vordergrund. Besonders in Deutschland werden dem Mitarbeiter im Rahmen einer theoretischen und praktischen Ausbildung alle Kenntnisse über seinen Beruf vermittelt, ehe er mit der eigentlichen Arbeit beginnt. Die erworbenen Kenntnisse veralten zwar im Laufe der Zeit und der Mitarbeiter ist gefordert, diese Kenntnisse zu ergänzen, er kann aber immer auf einem Fundament aufbauen.

Der Schwerpunkt der Fortbildung liegt dementsprechend sowohl in der modernen Fabrik als auch in der Lean Production im atlantischen Raum in der Eigeninitiative des Mitarbeiters, wobei die moderne Fabrik durch ihren ganzheitlichen Ansatz prinzipiell die höheren Anforderungen sowohl an die fachliche als auch an die persönliche Kompetenz stellt. Dieses unterstützt auch die klassische Gruppenarbeit.

Da alle modernen Produktionsphilosophien auf gruppendynamische Effekte bauen, wird dem Kooperationsaspekt ein besonderes Augenmerk gewidmet. Kooperation ist erforderlich, weil die Führung nicht mehr nach tayloristischem Muster verrichtungs-bezogen ist, sondern die Erfüllung von Aufgaben als Ziel hat. Das bedingt, dass dem Mitarbeiter nicht aufgetragen wird, was, wie und wann er eine bestimmte Verrichtung durchzuführen hat, sondern ihm im Team weitergehende Freiheiten gewährt werden, wozu er sich mit den Abnehmern und Zulieferern über Zeitpunkt und Art seiner Arbeiten abzustimmen hat. Außerdem soll er seine Arbeit eigenverantwortlich gestalten.

Wir müssen unterscheiden zwischen Kooperation im eigentlichen Team und über die Teamgrenzen hinaus. Die Gruppenarbeit setzt den Schwerpunkt auf die Kooperation im eigenen Team und vernachlässigt die übergreifende Kooperation zugunsten einer strengeren Führung. Die Lean Production setzt auf die Einstellung des Mitarbeiters zum gesamten Betrieb. Der Mitarbeiter soll sich als Bestandteil des Betriebes fühlen und Anregungen zur Verbesserung der Gesamtheit liefern, seine direkten Arbeiten aber nach Vorschrift ausführen, wobei er sich über den Zeitpunkt mit seinen Abnehmern abstimmt.

Seine Zusammenarbeit mit anderen hat dadurch den Schwerpunkt, Verbesserungen im Gesamtablauf zu erzielen und zwar in erster Linie innerhalb des eigenen Teams, erst dann unter übergeordneten Gesichtspunkten. Der Fortschritt gegenüber der Gruppenarbeit ist auf dieser Teilebene nicht sehr groß.

Die moderne Fabrik wird durch Ziele gesteuert. Dazu gehört die Zielvereinbarung, die eine Abstimmung mit der übergeordneten Organisationseinheit und mit zuleitenden bzw. abnehmenden Organisationseinheiten erfordert. Auch bei der Durchführung der Aktivitäten zur Zielerreichung ist die Zusammenarbeit mit anderen Organisations-einheiten erforderlich, die dabei nicht durch zusätzliche Hierarchieebenen laufen darf. Diese Aussage gilt in jedem Fall. Weitergehende Kooperation ist erforderlich, wenn mehrere Einheiten ein gemeinsames Ziel haben. Die Kooperation erfolgt dann zwischen den Einheiten, die durchaus durch einem vom Team bevollmächtigten Teammitglied übernommen werden kann. Diese Vielfalt der Verbindungen erfordert hohe Kooperationsbereitschaft, die sowohl durch die Ziele als auch durch besondere Maßnahmen wie Training und Sensibilisierung sowie materielle Anreize gefördert werden muss. Da die direkte Kontrolle des Mitarbeiters gering entwickelt ist oder sogar fehlt, muss auf die Motivation ein besonderes Gewicht gelegt werden. In der klassischen Gruppenarbeit werden der Gruppe definierte Aufgaben gestellt, die sie dann weitgehend autonom durchführen soll. Die Motivation erfolgt hier durch das Gruppengefühl und durch eine, wenn auch nur geringe Autonomie. Weitere Anreize sind materieller Art.

Die Arbeiten von Hartmann, Heinen und Widmaier im Rahmen der Fraktalen Fabrik haben die abweichenden Motivationspotentiale der jeweiligen unterschiedlichen Qualifikationsebenen gezeigt (in H.-J. Warnecke: Aufbruch zum Fraktalen Unternehmen.).

Während bei ungelernten Mitarbeitern Sicherheit und Entlohnung an der Spitze der Motivationsskala steht und andere Aspekt nachrangig sind, verlagert sich da Interesse bei qualifizierteren Kräften sehr schnell zur Aufgabenstellung und Anerkennung. Da ein modernes Unternehmen auf qualifizierte Kräfte angewiesen ist, muss dieser Aspekt beachtet werden. In der Lean Production werden besondere Erfolge öffentlich, z.B. durch einen Aushang, anerkannt. Da die Verantwortung für das gesamte Unternehmen im Vordergrund steht, werden solche Leistungen grundsätzlich von allen positiv bewertet und das Ansehen des Mitarbeiters und damit auch seine gesellschaftliche Stellung steigen. Materielle Motivation erhält er durch den Anteil am Betriebsergebnis, für das er sich durch seine Arbeit verantwortlich fühlt.

Die moderne Fabrik gewährt dem Mitarbeiter weitgehende Autonomie. Er muss als vollwertiges Mitglied des Teams anerkannt sein und an allen Entscheidungen und Maßnahmen gleichwertig beteiligt werden. Damit kann er seine Aufgabenstellung weitgehend mitgestalten. Die Ergebnisse seiner Arbeit werden ständig visualisiert und mit den vereinbarten Zielen verglichen. Seine Erfolge werden sofort dokumentiert und allen sichtbar gemacht. Bei besonderen Leistungen finden sich häufig viele interessierte Kollegen vor den Diagrammen, die das dokumentieren. Materielle Anerkennung erfährt er durch Prämien, die von der Zielerfüllung abhängig sind. Die moderne Fabrik entspricht besonders auf dieser Ebene dem kulturellen Umfeld der atlantischen Hemisphäre.

manufactus GmbH in Kooperation mit Helmuth Gienke

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