Auf der 4.Internationalen Konferenz für Produktionsforschung 1978 in Tokyo hat der Bereich „Produktionssteuerung“ bei Toyota das hauseigene Toyota Produktionssystem vorgestellt. In der Folgezeit setze eine wahre Völkerwanderung aus den atlantischen Ländern nach Japan ein, was bei Toyota zu der internen Meinung beitrug, dass die Führungskräfte deswegen so genannt werden, weil sie ständig Fremde durch die Produktion führen müssen.
Der Bericht hat in der deutschen Übersetzung den Titel „Toyota Produktionssystem und Kanban-System“ und den Untertitel „Fertigung zum Bedarfszeitpunkt und Humanisierung“. Die japanischen Autoren arbeiteten heraus, dass der Auslöser für das neue System die Erkenntnis gewesen sei, dass „die japanische Industrie alles in ihrer Macht stehende unternehmen müsse, um qualitativ bessere Waren mit einem höheren Veredlungsgrad und geringeren Herstellkosten als vergleichbare Länder zu produzieren“.
Die Gliederung dieses Vortrages ist sehr aufschlussreich:
1. Ausgangspunkt des Konzeptes – das Beste aus den japanischen Gegebenheiten zu machen
2. Toyota-Produktionssystem und sein Grundkonzept
2.1. Kostensenkung durch gründliche Vermeidung von Abfall
2.2. Vollständige Nutzung der Fähigkeiten der Arbeitskräfte
3. Kanban-System
3.1. Ziel des Kanban-Systems
3.2. Beschreibung des Kanban-Systems
3.3. Nennenswerte Punkte der Wirkung des Kanban-Systems
4. Erweiterung der „Fertigung zum Bedarfszeitpunkt“ durch Reduzierung von Rüstzeiten der Presswerkzeuge
5. Das Ergebnis = die gegenwärtige Situation bei Toyota
„Kan Ban“ und „Erweiterung der Fertigung zum Bedarfszeitpunkt“ sind nicht unter dem Oberbegriff „Toyota Produktionssystem“ aufgeführt, sondern als gesonderte Abschnitte. Offensichtlich werden diese Punkte nicht als erforderliche Bestandteile des TPS angesehen. Auf diesen Punkt kommen wir später zurück.
Im Abschnitt 2 des Toyota Berichtes ist das Ziel des Toyota Produktionssystems und gleichzeitig das aller Produktionssysteme definiert und herausgestellt, welche wesentlichen Merkmale den Weg zur Zielerreichung markieren, nämlich Vermeidung von Verschwendung und Nutzung (und Förderung) der Fähigkeiten der Mitarbeiter.
Die als kennzeichnend für das TPS angesehene Forderung nach Vermeidung von Verschwendung (Muda) ist in der deutschen Version auch im Text mit dem Wort „Abfall“ übersetzt. Der japanische Begriff „Muda“ genau wie der englische Begriff „waste“ kann sowohl „Abfall“ als auch „Verschwendung“ bedeuten. Vermutlich würde man es heute eindeutig in Verbindung mit TPS mit Verschwendung übersetzen.
Tatsächlich ist die „Vermeidung von Verschwendung“ als wesentliche Grundlage für die Zielerreichung im Beitrag definiert und die herausgestellten Merkmale sind nur Mittel, die Verschwendung zu reduzieren.
Verschwendung ist im strengen Sinne jede Nutzung von Ressourcen, die nicht der Wertsteigerung der erzeugten Güter dienen.
Um eventuellen Einwänden vorzubeugen: selbstverständlich handelt es sich hier um einen Marktwert und nicht um einen ethischen Wert. Das Ziel eines Betriebes ist es, Güter für den Markt, das bedeutet, für die Deckung des Bedarfes der Menschen an Gütern, zu schaffen.
Verschwendung gibt es zum Beispiel durch unwirtschaftliche Nutzung von Maschinen und Anlagen, Material, Arbeitskräften, Werkzeugen und Vorrichtungen, aber auch durch unnötige Lagerung von Produkten.
Eine wesentliche Erkenntnis (und im Punkt 2.2 des Toyota Berichtes herausgestellt) ist, dass diese Ziele nur erreicht werden können,
wenn die Mitarbeiter den Sinn dieser Aktivitäten einsehen und auch tätig sind, ihr Wissen und ihre gestaltenden Fähigkeiten für die Vermeidung zu nutzen,
woraus sich die Forderung nach Humanisierung der Arbeitswelt ableitet.
Sie schlägt sich nieder in der Beteiligung der Mitarbeiter an der Gestaltung der Arbeitsabläufe, der Arbeitsplatzgestaltung, der Automatisierung langweiliger, ermüdender und schmutziger Arbeitsschritte und nicht zuletzt in der ständigen Forderung nach Verbesserungsvorschlägen. Das wird noch gefördert durch die Ablehnung vieler junger Japaner, in der Automobilfertigung zu arbeiten, weil die Arbeit „schmutzig, laut, anstrengend und langweilig“ sei.
Eine weitere Folge aus der Forderung von Vermeidung von Verschwendung ist die Senkung des Lagerbestandes. Diese steht traditionsgemäß im Gegensatz zu der Forderung nach hoher Lieferfähigkeit. Der hohen Lieferfähigkeit dient die Produktion zum Bedarfszeitpunkt oder Just in Time. Das bedingt aber hohe Zuverlässigkeit der Produktion, also hohe Qualität und schnelle Reaktion. Aus der Forderung nach schneller Reaktion leitet sich die Forderung nach kurzen Rüstzeiten ab, die nur durch die in Arbeitskreisen zusammengefassten Erfahrungen mehrerer Mitarbeiter zu realisieren sind. Die kürzeren Rüstzeiten (machbar sind häufig Verkürzungen auf weniger als 50% des bisherigen Aufwandes) bringen eine bessere Auslastung der Anlagen.
Auch Nacharbeit ist Verschwendung. Nacharbeit vermeidet man, wenn alle Fehler so früh wie möglich entdeckt werden und die Konstruktion und Montage des Produktes so gestaltet wird, dass menschliche Fehler und die Montage fehlerhafter Teile weitgehend vermieden werden. Auch dieses wird am ehesten erreicht, wenn
- die Qualität einen hohen Standard hat, die Nacharbeit erspart,
- die Mitarbeiter aktiv an der Gestaltung des Produktes und der Montage beteiligt sind, um ihr Wissen über Ursachen der Nacharbeit und Wege zur Vermeidung einzubringen
- schnelle Nachlieferung zum Ersatz fehlerhafter Teile möglich ist, um fehlerhafte Teile ohne Verzug zu ersetzen
Das Ziel, den Arbeitsaufwand im ganzen Betrieb, also auch für die Verwaltung und Steuerung, zu verringern, ist aber durch die oben erwähnten Arten der Verschwendung nicht vollständig.
Ein wesentliches Element ist, alle Tätigkeiten zu vermeiden, die nicht für die Erstellung der Produkte erforderlich sind. Dazu gehören Statistiken, die nicht der Leistungssteuerung und dem Leistungsanreiz dienen, sowie Steuerungsmaßnahmen, die von den Mitarbeiten am Arbeitsplatz einfacher durchgeführt werden können usw.
Um die Ziele optimal zu erreichen, ist es sinnvoll, das Wissen der Mitarbeiter zu nutzen. Dazu müssen die Mitarbeiter aber das Gefühl haben, dass ihre Einbringung auch als Leistung anerkannt wird und sicher sein, dass ihnen aus der Verringerung des Aufwandes keine Nachteile, sondern Vorteile entstehen.
Die Anerkennung des Mitarbeiters als wesentlichen Teil des Unternehmens, wenn er seine Arbeit in den Dienst des Betriebes stellt, ist ein wichtiges Kennzeichen des Toyota Produktionssystems.
Kennzeichnend für das TPS ist nach Aussage vieler Vertreter der Schule, zum optimalen Einsatz der Mitarbeiter, Vorgänge zu automatisieren, die häufig wiederholt werden, die schmutzig oder anstrengend sind. Damit sollen die Anstrengungen der Mitarbeiter zur Verbesserung der Abläufe verstärkt werden. Dieses ist aber eigentlich nur eine Methode.
Alle diese Ziele greifen ineinander und bilden durch die Voraussetzungen zu ihrer Erreichung ein Netzwerk von Einflussgrößen, die zu berücksichtigen ein wesentliches Element des TPS ist. Auch wenn man nur einige Ziele durch TPS erreichen will, muss man diese Zusammenhänge erarbeiten und berücksichtigen.
Jetzt kommen wir zurück auf die oben erwähnte Auffälligkeit, dass zwei Punkte getrennt aufgeführt sind.
Allgemein herrscht die Ansicht vor, dass man die im Rahmen des TPS entwickelten Methoden anwendet und dann das Toyota Produktionssystem hat. Tatsächlich sind auch mehrere Methoden mit dem TPS entwickelt worden.
Die bekanntesten sind:
- KAN BAN zur Produktion zum Bedarfszeitpunkt, zur Festlegung und damit Reduzierung des Bestandes in der Produktion und zur Aufdeckung von Störungen im Materialfluss und damit ebenfalls der Verringerung der Bestände,
- VV-Wesen, um die Fähigkeiten, Erfahrungen und Kreativität der Mitarbeiter zu fördern und zur Reduzierung der Verschwendung und Verbesserung der Produktionsabläufe zu nutzen,
- Management by View um Störungen im Materialfluss sichtbar zu machen,
- Qualitätszirkel um die Fähigkeiten und Erfahrungen der Mitarbeiter zur Beseitigung von Problemen zu nutzen,
- Poka Yoke um Fehler zu verringern,
- Jidoka um Fehler rechtzeitig zu entdecken (besser bekannt zu machen) und damit Ausschuss zu vermeiden, etc.
Die Anwendung dieser Methoden ist aber keine Voraussetzung für das Toyota Produktionssystem. Entscheidend ist vielmehr, dass die oben genannten Ziele erreicht werden sollen. Dazu kann man häufig die bekannten Methoden nutzen, aber auch eigene, eventuell sogar wirksamere Methoden entwickeln. Besonders, wenn TPS in einem Betrieb eingeführt werden soll, der nicht zum Bereich Automotive gehört, empfiehlt es sich, sehr kritisch die bekannten Methoden auf ihre Anwendungsmöglichkeit im eigenen Betrieb zu prüfen. Selbstverständlich können Qualitätszirkel, Management by View und Poka Yoke in nahezu jedem Betrieb angewandt werden, aber KAN BAN ist innerbetrieblich zum Beispiel auf die Produktion von zusammengesetzten Teilen beschränkt. Für Dienstleistungen wie z.B. Konstruktion ist es nicht immer sinnvoll.
Zusammengefasst kann festgestellt werden, dass nicht die Methoden das Toyota Produktionssystem bilden, sondern die Ziele und die daraus abgeleiteten Folgerungen.
manufactus GmbH in Kooperation mit Helmuth Gienke
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